Exklusives Interview: Wie hat sich die Pandemie auf das SOS-Kinderdorf Württemberg ausgewirkt?

Dieses Jahr hat die Easy-Tutor GmbH an drei Einrichtungen von SOS-Kinderdorf Deutschland Online-Nachhilfe im Wert von über 10.000 € gespendet, um die dort lebenden Kinder schulisch zu unterstützen. Durch die Spende ermöglichten wir den Kindern aus den SOS-Kinderdorf Einrichtungen eine sichere und kontaktlose Möglichkeit der professionellen Betreuung im Homeschooling durch unsere Nachhilfelehrer:innen.

Zum heutigen Welthungertag möchten wir erneut auf diejenigen aufmerksam machen, die nach wie vor dringend unsere Hilfe benötigen, aber leider in der Krise häufig in Vergessenheit geraten. Wir haben den Einrichtungsleiter SOS-Kinderdorf Württemberg, Herrn Rolf Huttelmaier, unter anderem zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Bildungsungerechtigkeit befragt.

Wie hat die Corona-Pandemie und der damit verbundene Lockdown die Situation in Ihrer Einrichtung verändert?

"Für uns steht der Schutz unserer Bewohner:innen und Mitarbeiter:innen an erster Stelle. So hatte die Umsetzung der jeweils aktuellen Corona-Regelungen absolute Priorität. Das erforderte nicht nur einen zusätzlichen administrativen Aufwand, sondern stellte auch hohe Anforderungen an alle Mitarbeiter:innen und unsere SOS-Kinderdorffamilien. Wir sind hier im Dorf für gut 70 junge Menschen verantwortlich und sind stolz darauf, dass wir durch unseren verantwortungsvollen Umgang keinen einzigen Corona-Fall in der Einrichtung hatten."

Wie hat sich Ihre tägliche Arbeit als Einrichtungsleiter durch die Pandemie verändert?

"Es waren unglaublich viele Fragen zu klären und Maßnahmen umzusetzen. Und das oft adhoc und auch immer mit Blick auf unsere SOS-Kinderdorffamilien. Da trifft man nicht nur eine Entscheidung für eine Familie, sondern Entscheidungen für 10 Familien und drei Wohngruppen. Und für unsere Kindergärten und für den ambulanten Hilfenbereich. Bei so einer Tragweite macht man sich ausführlich Gedanken. Das kostet Zeit, die eigentlich für andere Dinge reserviert war. Damit verschieben sich Prioritäten und Projekte sind liegen geblieben oder haben sich im Fokus verändert. Man muss extrem flexibel sein und die Belange aller hier im Blick haben."

Wie sind Sie in Ihrer Einrichtung mit dem Thema Homeschooling umgegangen? Wie sah Homeschooling in Ihrer Einrichtung aus?

"Das Homeschooling fand bei uns innerhalb der Familien statt. In der strengen Lockdown-Zeit haben sich die Familien nur innerhalb ihrer Häuser bewegt. D. h., das Erziehungs-Team in einer Familie hat sich um das Homeschooling von bis zu 6 Kindern gekümmert."

Wie häufig wurden digitale Lernangebote, wie z.B. unsere Online-Nachhilfe, in Anspruch genommen?

"Das Angebot von Easy-Tutor ist für unsere Kinder und Jugendlichen ein großer Gewinn. Hier können wir fehlende Kompetenzen abdecken und den Kindern eine zusätzliche Möglichkeit zur Weiterbildung bieten. Besonders Mathe und Englisch sind gefragt.  Gut 10 Kinder nutzen bei uns die Möglichkeit, mit Easy-Tutor zu lernen."

Gab es vom Wissensstand, den technischen Ressourcen oder der digitalen Kompetenz noch Barrieren, die es in Zukunft zu überwinden gilt?

"Grundsätzlich hat es uns an Hardware gefehlt. Bei mehreren Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus einem Haus mussten die Nachhilfestunden oft hintereinander stattfinden. Der Zugang und die Plattform selbst waren gut erklärt und stellten kein Hindernis in der Nutzung da."

Laut einer SOS-Längsschnittstudie haben Kinder und Jugendliche, die in der stationären Erziehungshilfe aufwachsen, systematisch weniger Erfolg auf ihrem Bildungsweg als Gleichaltrige aus der Gesamtbevölkerung. Was für Maßnahmen ergreift Ihre Einrichtung aktiv, um gleiche Bildungschancen zu schaffen?

"Maßgeblich für die Entwicklung einer positiven Bildungseinstellung ist, dass die jungen Menschen vertrauensvolle Beziehungen zu für sie wichtigen Bezugspersonen erleben. Kinder und Jugendliche können mit höherer Wahrscheinlichkeit Bildungschancen für sich nutzen, wenn sie von einer ihnen wichtigen Person kontinuierlich begleitet, motiviert und unterstützt werden. Dafür sorgen wir in unseren SOS-Kinderdorffamilien und Wohngruppen. Außerdem haben wir in der Erziehungs- und Hilfeplanung, wie auch im pädagogischen Alltag, ein Augenmerk auf die individuellen bildungsbezogenen Ziele der jungen Menschen und helfen ihnen, diese zu erreichen."

Wie können Unternehmen wie unseres am besten helfen und diese Kinder auf ihrem Bildungsweg unterstützen?

"Das kostenlose Bereitstellen solcher Lernangebote ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Oft hängt es an finanziellen Mitteln, um die jungen Menschen entsprechend zu fördern. Den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg haben für Deutschland auch verschiedene Studien belegt. Außerdem sollte es ein möglichst niederschwelliges und offenes Einstiegsangebot sein, damit die jungen Nutzer:innen Spaß haben, damit zu beginnen und sich die Leistungen dann individuell und nach ihrem Bedarf bedienen können."

Haben Sie das Gefühl, dass Bildungsungerechtigkeit aufgrund der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Homeschooling nochmals zugenommen hat?

"Für Kinder und Jugendliche, die aus sozioökonomisch nicht-privilegierten Herkunftsfamilien mit einem eher niedrigen Bildungsniveau kommen, vermutlich. Hier fehlt es oft an finanziellen und intellektuellen Ressourcen, um das während der Pandemie und der Schulschließung entstanden Bildungsdefizit zu kompensieren."

Welche neuen Probleme und Herausforderungen sind im letzten Jahr entstanden?

"Die Corona-Maßnahmen führten unter anderem dazu, das mehr Zeit mit der Kinderdorffamilie bzw. in den Wohngruppen verbracht wurde und weniger Zeit mit Freund:innen und Freunden und der Herkunftsfamilie. Das hat sich positiv auf den Zusammenhalt in den Familien/Gruppen ausgewirkt. Gleichzeitig hatte das enge Beieinandersein natürlich auch ein hohes Konfliktpotential: die Gruppenatmosphäre war insgesamt belastet und zusätzlich dann auch noch durch die räumliche Einschränkung während des harten Lockdowns."

Was beschäftigt die Kinder Ihrer Einschätzung nach aktuell am meisten? Welche Sorgen und Ängste, aber auch Wünsche und Hoffnungen haben sie?

"Unsere Jugendlichen sorgen sich um ihre berufliche Zukunft. Laut der SOS-Längsstudie sehen sie die Auswirkungen der Pandemie in Bezug auf den sozialen, schulischen und beruflichen Bereich als sehr kritisch. Jede/-r Vierte (26,8 %) sagt, dass der Zugang zu Computern und zum Internet nicht ausreicht, um die Lernangebote der Schule/Berufsschule adäquat nutzen zu können. Zudem fühlen sich „nur“ 66,8 % der Befragten gut dabei unterstützt, zu Hause bzw. in der Einrichtung zu lernen und zu arbeiten. Besonders bedenklich ist, dass knapp die Hälfte der Jugendlichen (43,5 %) negative Auswirkungen der Corona-Krise auf den eigenen Schul- oder Berufsbildungsweg befürchtet. Diese Kritik richtet sich allerdings weniger gegen die Fachkräfte als gegen strukturelle Probleme und den Rückstand bei den digitalen Unterrichts- und Kommunikationsformen."

Würden Sie sich wünschen, dass die Situation von betroffenen Kindern mehr von Politik, Medien und Bildungssystem thematisiert wird? Von welcher Seite erhoffen Sie sich mehr Unterstützung?

"Das Thema muss von allen Seiten nach wie vor thematisiert werden. Bildung ist eine der zentralen Voraussetzungen für ein gelingendes und selbstbestimmtes Leben. Und der Zugang dazu sollte nicht von sozialen Strukturen abhängen. Bildung ist ein gesamtgesellschaftliches Thema und wir alle haben eine Verantwortung und einen Bildungsauftrag jungen Menschen gegenüber."

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